Aktion / Bericht
Mühldorfer Aktionsbündniss organisiert Fachvortrag
Dr. Andreas Segerer refereriert zum Thema Artenvielfalt
Über einen vollbesetzten Saal im Turmbräugarten konnte sich die rührige ÖDP-Kreisvorsitzende Lisa Sieber aus Aschau freuen. Sie begrüßte Judith Bogner von den Grünen, Andy Hewitson vom Imkerbund, Dr. Andreas Zahn vom Bund Naturschutz und Ingrid Schubert vom Landesbund für Vogelschutz. Neben einigen Stadt- und Gemeinderäten waren auch Josef Schmid vom Arbeitskreis „Bäuerliche Landwirtschaft“ und Reinhard Retzer, Kreistagsabgeordneter der ÖDP anwesend.
Dr. Andreas Segerer arbeitet bei der Zoologischen Staatssammlung in München, sein Spezialgebiet sind die Schmetterlinge. Er begann seinen informativen und gut verständlichen Vortrag mit der Osterinsel (=Rapa Nui), exemplarisch für die Zerstörung der Umwelt. Bis zur Entdeckung durch Seefahrer war diese ein Paradies, fortan begann das Abholzen der Bäume (10.000.000 Millionen Palmen wurden gefällt, um Kanus und Hütten zu bauen), das intensive Betreiben von Landwirtschaft. Dies führte zu Erosion (=Bodenabtragung), die Bevölkerung der Osterinsel ging um 80 % zurück, Pflanzen und Tiere starben aus. Segerer betonte, dass, wenn wir die Erde nicht in den Griff bekämen, es uns wie der Osterinsel ergehen würde.
Durch die „Krefeld-Studie“(beschäftigte sich mit dem Rückgang der Fluginsekten) rückte das Insektensterben, welches durch die Bestimmung der Biomasse flugaktiver Insekten nachgewiesen werden konnte, erst in das Bewusstsein der Menschen. Jeder kann dies im Sommer selbst feststellen: Die Windschutzscheibe der Autos ist heutzutage viel weniger von Insekten verschmutzt.
In einem ersten Kapitel wurde der Frage nachgegangen, wie schlimm die Lage bezüglich unserer Umwelt wirklich ist. Segerer machte deutlich, dass die Roten Listen immer länger werden und Arten aussterben (Beispiel Schmetterlinge: 11 % sind in Deutschland ausgestorben, was 375 Arten ausmacht). Ebenso gehen die verschiedenen Lebensräume von Tieren und Pflanzen zurück. Es gibt 862 davon, von denen sind zwei Drittel gefährdet.
Der zweite Teil beschäftigte sich mit der Frage, ob wir uns Sorgen machen müssen, welche Segerer bejahte. Etwa 90 % der Pflanzen sind auf Bestäubung angewiesen. Die dafür zuständigen Bienen werden immer weniger. Müssen in Zukunft Menschen die Pflanzen bestäuben, wie in China praktiziert, oder müssen Bienenvölker durch das Land gekarrt werden, wie in den USA? Ein anderes Beispiel ist, dass Insekten sehr artenreich sind. Jede Art hat eine bestimmte Aufgabe. Sterben eine oder mehrere Arten aus, führt dies zum Kollabieren des Ökosystems. Der amerikanische Forscher Edward G.Wilson behauptete: „Wenn die Insekten aussterben, kann die Menschheit nur noch zehn Jahre überleben.“
In Teil 3 des Vortrags erklärte Dr. Segerer, dass das Problem mit unserer Umwelt und seine Ursachen schon lange bestehe. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erkannte der Forscher Johann Friedrich Naumann, der Begründer der Vogelkunde im 19. Jahrhundert, dass viele Vogelarten verschwunden seien. Den Grund dafür sah er in eintönigen Ackerflächen. Appelle an Behörden seien erfolglos, wirtschaftliche Interessen hätten den Vorrang. Dies, so Segerer, sähe heute nicht anders aus, denn die Arten verschwänden mit ihrem Lebensraum, an den sie gebunden seien.
Hauptursachen des Insektensterbens, so Andreas Segerer im vierten Abschnitt seines Referats, seien Vernichtung von Lebensräumen durch intensivierte Landnutzung, Flächenfraß (täglich werden in Bayern 13 Hektar zugebaut), Überdüngung und Vergiftung durch Pestizide. Diese breiten sich aus und sind heute bis zu 10.000mal giftiger als das früher eingesetzte Pflanzenschutzmittel DDT: Bienen bekämen so eine Immunschwäche, eine Art AIDS und eine Alzheimer-Erkrankung, die sie nicht mehr in ihren Stock zurückfinden lässt. Auch die Verinselung von Flächen, auf denen Artenreichtum vorherrscht, sei ursächlich. So seien Arten auf ihren „Inseln“ gefangen und von der „Nachbarinsel“ abgeschnitten, sie sterben aus. Weitere Gründe für das Insektensterben seien Autoverkehr und Lichtverschmutzung.
Was können wir tun, um unsere Umwelt für unsere Kinder und Enkelkinder lebenswert zu gestalten? Die Politik muss Pestizide verbieten und für mehr Öko anstatt Gewinn sorgen. Entscheidend ist aber auch das Verhalten jedes Einzelnen. Jeder kann in seinem Garten auf Spritzmittel verzichten und einheimische Sträucher und Pflanzen anbauen. Die Reduzierung von Fleischkonsum verringert die Menge der Antibiotika und der Gase. Ganz wichtig ist der Einkauf beim Kleinbauern, beim Ökolandwirt, im Hofladen. Auch sollte man, so empfahl der Referent, solche Parteien wählen, die sich der Umwelt verpflichtet fühlen. Die Teilnahme am Volksbegehren sei ein wichtiger Schritt, es gab noch nie ein so großes, aus 175 Partnern bestehendes Bündnis. Hat das bayerische Volksbegehren Erfolg, so wird dies Signalwirkung für Deutschland und Europa haben.
Das Fazit Dr. Segerers lautete, dass nicht die Bauern an den Pranger gehörten, sondern das System, das Bauern zwingt, so zu handeln, wie sie es jetzt tun. Er forderte eine Agrarwende und eine ökosoziale Marktwirtschaft. Letztlich sei die Politik in der Verantwortung, denn es geschieht alles nach Recht und Gesetz. Schließlich soll es uns nicht so ergehen wie den Menschen auf der Osterinsel.
Der Abend endete mit dem Video einer Rede, die die 15-jährige Schwedin Greta Thunberg vor der Klimakonferenz im polnischen Kattowitz gehalten hatte. Sie ist eine Galionsfigur der Klimaschutzbewegung und kämpft für „Climate Justice Now“, also ein gerechtes Klima. Dafür demonstriert sie jeden Freitag und verweigert die Schule.
Es schloss sich eine lebhafte Diskussion an, die Judith Bogner gekonnt moderierte (hra).